(Kiel) Der für das Versicherungsvertragsrecht zuständige IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass die beklagte Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) zu Recht von an ihr beteiligten Arbeitgebern sogenannte Sanierungsgelder gefordert hat.
Darauf verweist der Hamburger Rechtsanwalt Matthias W. Kroll, LL.M., Leiter des Fachausschusses „Finanzdienstleistungs- und Versicherungsrecht“ der DASV Deutschen Anwalt- und Steuerberatervereinigung für die mittelständische Wirtschaft e.V. mit Sitz in Kiel, unter Hinweis auf die Mitteilung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 20. Juli 2011 zu seinen Urteilen vom 19. Juli 2011 – IV ZR 76/09, IV ZR 46/09 und IV ZR 68/09.
Die Beklagte hat nach dem Zweiten Weltkrieg die Funktion der im Februar 1929 errichteten Zusatzversorgungsanstalt des Reichs und der Länder (ZRL) übernommen. Sie hat die Aufgabe, den Angestellten und Arbeitern der an ihr beteiligten Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes im Wege privatrechtlicher Versicherung eine zusätzliche Alters-, Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenversorgung zu gewähren.
Mit Neufassung ihrer Satzung vom 22. November 2002 hat die Beklagte ihr Zusatzversorgungssystem rückwirkend zum 31. Dezember 2001 umgestellt. Den Systemwechsel hatten die Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes im Tarifvertrag Alterversorgung vom 1. März 2002 (ATV) vereinbart. Damit wurde das frühere – auf dem Versorgungstarifvertrag vom 4. November 1966 (Versorgungs-TV) beruhende – endgehaltsbezogene Gesamtversorgungssystem aufgegeben und durch ein auf einem Punktemodell beruhendes Betriebsrentensystem ersetzt.
Im Abrechnungsverband West, dem die Klägerin angehört, werden die Aufwendungen der Beklagten seit 1967 über ein modifiziertes Abschnittsdeckungsverfahren (Umlageverfahren) finanziert. Der Umlagesatz ist so bemessen, dass die für die Dauer des Deckungsabschnitts zu entrichtende Umlage zusammen mit den übrigen zu erwartenden Einnahmen und dem verfügbaren Vermögen der Beklagten für die Ausgaben während des Deckungsabschnitts sowie der darauf folgenden sechs Monate ausreicht. Nach § 65 VBLS n.F. erhebt die Beklagte im Abrechnungsverband West ab dem 1. Januar 2002 neben Umlagen pauschale Sanierungsgelder zur Deckung eines zusätzlichen Finanzierungsbedarfs. Die Einführung des Sanierungsgeldes geht auf den Tarifvertrag Altersvorsorgeplan 2001 vom 13. November 2001 (AVP) und den ATV zurück.
Die Kläger entrichteten jeweils auf Anforderung der Beklagten für die Jahre 2002 und 2003 Sanierungsgelder und fordern diese Beträge mit der Begründung zurück, es fehle an einer wirksamen Rechtsgrundlage für die Erhebung der Sanierungsgelder. Sie meinen, die Beklagte sei als Anstalt des öffentlichen Rechts unter Missachtung des Gesetzesvorbehalts und daher nicht wirksam errichtet worden. Bereits deshalb sei § 65 VBLS n.F. rechtswidrig und könne keine Grundlage für die Anforderung der Sanierungsgelder darstellen. Weiterhin beanstanden die Kläger, dass die Vorgaben im AVP und im ATV in § 65 VBLS n.F. nicht inhaltsgleich umgesetzt worden seien und die Berechnung der Sanierungsgelder fehlerhaft sei. Ohnehin könnten in der Satzung der Beklagten übernommene Vereinbarungen der Tarifvertragsparteien für sie als sonstige, nicht tarifgebundene Beteiligte nicht maßgeblich sein.
Die Vorinstanzen haben die Klagen abgewiesen. Die Revisionen der Kläger hatten keinen Erfolg, so Kroll.
§ 65 VBLS ist nicht mangels rechtlicher Existenz der Beklagten rechtswidrig. Diese ist zwar nicht durch ein Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes gegründet worden. Sie ist gleichwohl als rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts existent, weil sie die vor Inkrafttreten des Grundgesetzes wirksam errichtete ZRL fortführt. Im Übrigen hat das Berufungsgericht zu Recht die Beklagte unabhängig von etwaigen Gründungsmängeln entsprechend der Lehre vom fehlerhaften Verband als existent angesehen. Danach ist eine fehlerhaft errichtete juristische Person des öffentlichen Rechts als wirksam entstanden zu behandeln, sobald sie – wie die Beklagte – im Rechtsverkehr aufgetreten und damit in Vollzug gesetzt worden ist.
Durch die in § 65 VBLS enthaltenen Regelungen über Sanierungsgelder werden beteiligte Arbeitgeber nicht i.S. des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen benachteiligt. § 65 VBLS ist einer Inhaltskontrolle nach den AGB-rechtlichen Maßstäben des BGB weitgehend entzogen, weil er auf einer – im ATV und im AVP getroffenen – maßgebenden Grundentscheidung der Tarifvertragsparteien basiert. Diese wirkt sich auch auf das Versicherungsverhältnis zwischen der Beklagten und den nicht tarifgebundenen sonstigen Beteiligten aus, die über ihre Beteiligungsvereinbarungen an das Satzungsrecht der Beklagten gebunden sind und dessen Überlagerung durch das Tarifvertragsrecht hinnehmen müssen. Bei der Umsetzung und inhaltlichen Ausgestaltung von Grundentscheidungen genießt der Satzungsgeber eine weitgehende Gestaltungsfreiheit, die die Gerichte grundsätzlich zu respektieren haben. Der gleichwohl gebotenen verfassungsrechtlichen Überprüfung hält § 65 VBLS stand. Die Verteilung und Berechnung der Sanierungsgelder verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Auch die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit sind gewahrt. Schließlich widerspricht die Erhebung von Sanierungsgeldern nicht dem Gemeinschaftsrecht, insbesondere nicht den Regeln der Wettbewerbsfreiheit nach Art. 101, 102 AEUV. Diese gelten nur für Unternehmen, nicht aber für Sozialversicherungssysteme, die – wie die Beklagte – nach dem Grundsatz der Solidarität im Rahmen einer Umlagefinanzierung aufgebaut sind und nicht über eine hinreichende Autonomie verfügen.
Kroll riet, dies zu beachten und in allen Zweifelsfragen Rechtsrat einzuholen, wobei er dazu u. a. auch auf die entsprechend spezialisierten Anwälte und Anwältinnen in der DASV Deutsche Anwalts- und Steuerberatervereinigung für die mittelständische Wirtschaft e. V. – www.mittelstands-anwaelte.de – verwies.
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Matthias W. Kroll, LL.M.
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