LArbG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 07.08.2020, AZ 2 Sa 651/20

Ausgabe: 7-9/2020

Tenor
1) Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 04.03.2020 – 29 Ca 4621/19 – wird auf seine Kosten bei unverändertem Streitwert zurückgewiesen.

2) Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand
1
Die Parteien streiten um die Herausgabe eines Eisenbahnfahrzeugführerscheins, um Vergütung aus Annahmeverzug und um Schadensersatz.
2
Der Kläger war bei der Beklagten als Teamleiter im S-Bahn-Betrieb beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete nach einem Kündigungsrechtsstreit aufgrund des gerichtlichen Vergleichs vom 19. Februar 2019 durch ordentliche Kündigung aus betrieblichen Gründen am 30. April 2019. Die Beklagte verpflichtete sich zur ordnungsgemäßen Abrechnung bis zum 30. April 2019 und stellte den Kläger mit sofortiger Wirkung unter Anrechnung etwaiger Urlaubsansprüche und etwaiger Ausgleichsansprüche wegen Mehrarbeit/Überstunden unter Fortzahlung der Bezüge frei (vgl. den Vergleich in der Akte 42 Ca 1283/19, Bl. 54 f. d. A.).
3
Im Rahmen der zur Kündigung führenden Vorwürfe und der damit einhergehenden Personalgespräche gab der Kläger seinen VDV-Führerschein und das dazu existierende Beiblatt am 14. Januar 2019 unstreitig ab (vgl. dazu das Übergabeprotokoll Bl. 79 d. A. sowie den Führerschein und das Beiblatt in Kopie Bl. 77 f. d. A.).
4
Mit der beim Arbeitsgericht Berlin am 15. April 2019 eingegangenen Klage sowie weiteren Klageänderungen verlangt der Kläger von der Beklagten die Herausgabe des Eisenbahn-Fahrzeugführerscheins, Zahlung aus Annahmeverzug sowie Schadensersatz für den Neuerwerb eines Triebfahrzeugführerscheins. Er hat behauptet, es sei ihm gegenüber keine „formale Entziehung einer Fahrerlaubnis ausgesprochen worden“. Der Führerschein sei sein Eigentum und daher an ihn herauszugeben. Die Vergütung sei nicht vollständig ausbezahlt worden. Die Kosten für den Ersatz eines neuen Triebfahrzeugführerscheins beliefen sich auf eine Summe von ca. 20.000,00 EUR bis 30.000,00 EUR.
5
Der Kläger hat beantragt,
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1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn den Eisenbahnfahrzeugführerschein gemäß VDV-Schrift 753 herauszugeben;
7
2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 17.433,79 EUR brutto abzüglich eines Nettobetrages in Höhe von 7.939,60 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 9,97 % aus 897,75 EUR seit dem 01. Februar 2019, aus 4.561,51 EUR seit dem 01. März 2019, aus 3.117,23 EUR seit dem 01. April 2019 sowie aus weiteren 8.857,30 EUR seit dem 01. Mai 2019 zu zahlen;
8
3. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 30.000,00 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen.
9
Die Beklagte hat beantragt,
10
die Klage abzuweisen.
11
Die Beklagte meint, sie habe den Eisenbahnfahrzeugführerschein rechtmäßig entzogen. Diese Entziehung sei durch den Eisenbahnbetriebsleiter bzw. durch von diesem beauftragte Personen erfolgt und gemäß dem im Betrieb der Beklagten geltenden Handbuch Fahrzeugbetrieb Teil T 3.2 ordnungsgemäß.
12
Das Entgelt für die Kalendermonate Januar bis April 2019 sei abgerechnet und in vier Teilzahlungen ausgezahlt worden: 1.986,99 EUR netto am 25. Januar 2019, weitere 7.210,04 EUR netto am 25. Januar 2019, 233,00 EUR netto am 25. Juli 2019 und 727,23 EUR netto am 25. August 2019. Wegen der Einzelheiten wird auf die tabellarische Berechnung der Beklagten Bezug genommen (vgl. dazu die Anlagen B 14 und 15, Bl. 188 und 189 d. A.). Bereitschaftsstunden seien nicht gesondert zu bezahlen, weil im Vergleich die Freistellung unter Anrechnung etwaiger Ausgleichsansprüche wegen Mehrarbeit/Überstunden vereinbart worden sei.
13
Das Arbeitsgericht Berlin hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass der von dem Kläger geltend gemachte Herausgabeanspruch bereits daran scheitere, dass ihm die Fahrerlaubnis durch den Betriebsleiter H. entzogen worden sei. Der Betriebsleiter sei beim Entzug nicht an eine bestimmte Form gebunden. Da der Führerschein lediglich das die Fahrerlaubnis verkörpernde Dokument sei, könne der Kläger keinen Anspruch auf Herausgabe haben, solange die Erlaubnis entzogen worden sei. Der Herausgabeanspruch folge auch nicht daraus, dass die Beklagte im Vergleich vom 19. Februar 2019 „die gegenüber der klagenden Partei im Zusammenhang mit der Kündigung erhobenen Vorwürfe nicht mehr aufrecht hält“. Diese Erklärung habe keinerlei Einfluss auf die Entziehung der Fahrerlaubnis und binde den Betriebsleiter in keiner Weise.
14
Der Kläger könne auch nicht die Zahlung weiterer Vergütung fordern. Zum einen sei die Klage in dieser Höhe bereits unschlüssig, denn sie setze voraus, dass die Beklagte die auf die tatsächlich abgerechneten Löhne entfallenden Steuern und Sozialabgaben nicht abgeführt habe. Wie der Kläger darauf komme, erschließe sich der Kammer nicht.
15
Zum anderen sei der dem Kläger zustehende Anspruch in voller Höhe durch die vier Teilzahlungen erfüllt. Die Beklagte habe die Errechnung der dem Kläger insgesamt zustehenden Nettobeträge umfassend und nachvollziehbar in den Anlagen B 14 und B 15 zum Schriftsatz vom 10. Dezember 2019 erläutert. Der Kläger hätte nunmehr nach den Grundsätzen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast genau vortragen müssen, was an dieser Aufstellung konkret falsch sein solle. Soweit der Kläger bestreite, dass die Zahlung von 1.986,99 EUR anzurechnen sein solle, sei er darauf hingewiesen, dass der Erfüllungseinwand der Beklagten den Gesamtzeitraum vom 01. Januar bis zum 30. April 2019 betreffe. Für diesen Zeitraum seien die vier Teilzahlungen erfolgt und die Ansprüche für diesen Gesamtzeitraum damit abgegolten. Der Kläger habe nicht dargelegt, welche sonstigen Ansprüche des Klägers damit befriedigt worden sein sollen. Wenn aber der Gesamtzeitraum 01. Januar bis 30. April 2019 vollständig bezahlt worden sei, folge daraus, dass dann auch der Teilzeitraum 25. Januar bis 30. April 2019 vollständig bezahlt sei, da es sich insoweit um eine Teilmenge handele.
16
Vergütung für Bereitschaftsstunden stehe dem Kläger nicht zu, weil im Vergleich die Freistellung unter Anrechnung etwaiger Ausgleichsansprüche wegen Mehrarbeit/Überstunden vereinbart worden sei. Darunter sei auch Vergütung für die Bereitschaftsstunden zu subsumieren.
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Einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte habe der Kläger schon deshalb nicht, weil die Beklagte zu Recht die Herausgabe des Eisenbahnfahrzeug-Führerscheins verweigere.
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Wegen der weiteren konkreten Begründung des Arbeitsgerichts und des Vortrags der Parteien in der ersten Instanz wird auf das Urteil vom 04. März 2020, Bl. 224 bis 227 R d. A. verwiesen.
19
Gegen dieses ihm am 30. März 2020 zugestellte Urteil richtet sich die beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg am 30. April 2020 im Original eingegangene und am 02. Juni 2020, dem Dienstag nach Pfingsten, begründete Berufung des Klägers. Er wiederholt und vertieft seinen Vortrag erster Instanz unter konkreter Auseinandersetzung mit dem erstinstanzlichen Urteil und meint insbesondere, dass ihm die Fahrerlaubnis nicht ordnungsgemäß entzogen worden sei.
20
Der Kläger beantragt,
21
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 04. März 2020, Az. 29 Ca 4621/19,
22
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn den Eisenbahnführerschein gemäß VDV-Schrift 753 mit der Nummer 528758603 herauszugeben;
23
2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 17.433,79 EUR brutto abzüglich eines Nettobetrages in Höhe von 7.939,60 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 9,97 % aus 897,75 EUR seit dem 01. Februar 2019, aus 4.561,51 EUR seit dem 01. März 2019, aus 3.117,23 EUR seit dem 01. April 2019 sowie aus weiteren 8.857,30 EUR seit dem 01. Mai 2019 zu zahlen;
24
3. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 30.000,00 EUR Schadensersatz zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
25
Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
27
Die Beklagte verteidigt konkret das erstinstanzliche Urteil.
28
Wegen des konkreten Vortrags der Parteien in der zweiten Instanz wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 02. Juni 2020 (Bl. 250 ff. d. A.) und der Beklagten vom 23. Juni 2020 (Bl. 269 ff. d. A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.
29
Die gemäß §§ 8 Abs. 2; 64 Abs. 1, Abs. 2 b, Abs. 6; 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG; §§ 222 Abs. 2; 519; 520 Abs. 1 und Abs. 3 ZPO zulässige Berufung ist insbesondere formgemäß und fristgemäß eingelegt und begründet worden.

II.
30
In der Sache ist die Berufung des Klägers jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht Berlin die Klage sowohl hinsichtlich der Herausgabe des Eisenbahnführerscheins als auch hinsichtlich der Zahlung aus Annahmeverzug und des Schadensersatzes abgewiesen. Die erkennende Kammer folgt dem Arbeitsgericht Berlin, sieht von einer wiederholenden Begründung gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG ab und verweist wegen des Vortrags in der Berufungsinstanz und der Erörterungen in der mündlichen Verhandlung vom 07. August 2020 nur auf Folgendes:

1.
31
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Herausgabe des Eisenbahnführerscheines gemäß VDV-Schrift 753 mit der Nummer 528758603.

a)
32
Ein Anspruch aus § 985 BGB auf Herausgabe scheidet aus. Denn der Kläger ist nicht Eigentümer des Eisenbahnführerscheins. Die vom Kläger zur Begründung herangezogene Norm des § 4 der Triebfahrzeugführerscheinverordnung – TfV – („Der Triebfahrzeugführerschein wird von der zuständigen Behörde ausgestellt und ist Eigentümer des Triebfahrzeugführers“) findet vorliegend keine Anwendung. Gemäß § 1 Abs. 1 TfV regelt die TfV unter anderem die Erteilung von Triebfahrzeugführerscheinen und Zusatzbescheinigungen für Eisenbahnen, die eine Sicherheitsbescheinigung nach § 7 a des Allgemeinen Eisenbahngesetzes – AEG – oder eine Sicherheitsgenehmigung nach § 7 c AEG benötigen. Die Beklagte benötigt gemäß § 7 a Abs. 1 in Verbindung mit § 2 b Abs. 1 Nr. 1 AEG keine Sicherheitsbescheinigung, da sie nicht am übergeordneten Netz teilnimmt, sondern als S-Bahnbetreiber in einem Netz, welches vom übrigen Eisenbahnsystem funktional getrennt ist.

b)
33
Ob ein schuldrechtlicher Herausgabeanspruch besteht, kann dahinstehen. Denn dafür wäre jedenfalls Voraussetzung, dass dem Kläger die Fahrerlaubnis zu Unrecht entzogen worden ist bzw. nach Auffassung des Klägers ihm die Fahrerlaubnis formell nicht ordnungsgemäß entzogen worden ist. Beides ist nicht der Fall:

aa)
34
Dem Kläger ist die Fahrerlaubnis durch die Mail des Eisenbahnbetriebsleiters vom 11. Januar 2019 (vgl. die Mail im Ausdruck Bl. 276 d. A. als Anlage B 16), gerichtet unter anderem an Herrn Peter Sch.) in Verbindung mit dem nach der VDV-Schrift 753 nötigen formellen Antrag auf Entzug der Erlaubnis (vgl. die Anlage B 5, Bl. 80 d. A.) vom 14. Januar 2019 (unterschrieben durch Herrn Peter Sch.) entzogen worden. Dies ist dem Kläger auch im Gesprächstermin vom 14. Januar 2019 mitgeteilt worden (vgl. den Vermerk auf der Anlage B 4 bzw. 4 a unten unter 7.), weshalb er seinen VDV-Führerschein und das Beiblatt abgegeben hat. Weitere Formvorgaben musste die Beklagte nicht beachten (vgl. dazu VG Magdeburg, 30.01.2012 – 1 A 86/10 -, zitiert nach juris, Rdnr. 23).

bb)
35
Dementsprechend bedürfte es einer neuen Erlaubnis durch den Eisenbahnbetriebsleiter gemäß Ziffer 1.3 des Handbuchs, die vorliegend weder beantragt noch erteilt worden ist und in Hinblick auf das beendete Arbeitsverhältnis nicht ausgestellt werden kann.

cc)
36
Ob eine derartige Erlaubnis erteilt werden müsste, ist jedenfalls im Hinblick auf die mangelnde Zuverlässigkeit des Klägers gemäß Ziffer 1.4.3 des Handbuchs zweifelhaft.

2.
37
Der Kläger hat keinen Anspruch auf weitere Bezahlung aus Annahmeverzug bzw. aus Ziffer 4 des gerichtlichen Vergleichs vom 19. Februar 2019 mehr, da die Beklagte diese Ansprüche erfüllt hat. Dies ergibt sich aus der Anlage B 14, welche die gesamten Abrechnungen der Beklagten im Zeitraum vom Januar bis zum August 2019 für die Monate Januar bis April 2019 nebst Korrekturen und Nachberechnungen enthält sowie die Einzelabrechnungen, die der Kläger selbst eingereicht hat (Anlage K 4 Bl. 140 ff.).

3.
38
Ein Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte besteht nicht.
39
Dies folgt bereits daraus, dass die Kausalität zwischen behaupteter Schadenshandlung und Schadenseintritt nicht ersichtlich ist, da nicht zu ersehen ist, weshalb der Kläger den begehrten Führerschein nach der VDV benötigt. Für ein Unternehmen außerhalb der Beklagten ist ein Führerschein nach der TfV zu beantragen. Dafür benötigt der Kläger nicht den Führerschein nach der VDV-Schrift 753. Im Gegenteil hat das EBA (Eisenbahnbundesamt) auf der Internetseite www.eba.bund.de dargestellt, dass seit dem 30. Oktober 2018 der Eisenbahnfahrzeugführerschein des VDV im Geltungsbereich des TfV nicht mehr verwendet werden darf (vgl. die Anlage B 13 Bl. 187 d. A.). Der Kläger braucht daher für einen TfV-Führerschein nicht den VDV-Führerschein. Der Kläger hat nach seinen eigenen Angaben (vgl. Schriftsatz vom 28.10.2019, S. 4, Bl. 138 d. A.) den TfV-Führerschein. Zum Führen eines Fahrzeugs benötigt er daneben noch eine Zusatzbescheinigung, die gemäß § 9 TfV nur von dem Unternehmen ausgestellt werden darf, welches ihn einstellt, nicht jedoch von der Beklagten.

III.
40
Die Berufung des Klägers war daher gemäß § 97 Abs. 1 ZPO auf seine Kosten bei unverändertem Streitwert zurückzuweisen.

IV.
41
Für eine Zulassung der Revision bestand kein Anlass.

Weitere Informationen: http://www.gerichtsentscheidungen.berlin-brande…