Arbeitsgericht Lübeck, Beschluss vom 08.06.2022, AZ 5 Ca 189/22
Ausgabe: 05-2022
Wer seiner Arbeitgeberin eine aus dem Internet ausgedruckte ärztliche „Bescheinigung über die vorläufige Impfunfähigkeit“ vorlegt, ohne dass eine Untersuchung durch die bescheinigende Ärztin erfolgt ist, riskiert die Kündigung seines langjährigen Arbeitsverhältnisses. Dies hat gestern das Arbeitsgericht Lübeck (5 Ca 189/22) entschieden.
Die Klägerin ist bei der beklagten Klinik seit 2001 als Krankenschwester beschäftigt. Auf die Anweisung der Arbeitgeberin im Zuge der Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht, den Impf- bzw. Genesenen Status nachzuweisen oder ein ärztliches Impfunfähigkeitszeugnis vorzulegen, hat die Klägerin ihrer Arbeitgeberin eine Bescheinigung vorgelegt, die eine sechsmonatige vorläufige Impfunfähigkeit ausweist und die Unterschrift einer Ärztin aus Süddeutschland enthält. Die Bescheinigung wurde aus dem Internet ausgedruckt. Eine – sei es digitale – Besprechung mit der Ärztin fand nicht statt. Die Beklagte hat das Gesundheitsamt informiert und außerdem der Klägerin im Januar 2022 fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31. Juli 2022 gekündigt.
In ihrer Kündigungsschutzklage führte die Klägerin u.a. aus, dass die Vorlage einer solchen Bescheinigung nicht zu beanstanden sei und § 20a IFSG weitere arbeitsrechtliche Maßnahmen der Arbeitgeberin gegenüber ihren Beschäftigten ausschlösse. Allein das Gesundheitsamt könne in dieser Situation handeln und eine ärztliche Untersuchung der betroffenen Mitarbeiterin veranlassen.
Dem ist das Arbeitsgericht, wie in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, nicht gefolgt. Die hilfsweise ordentliche Kündigung unter Einhaltung der geltenden Kündigungsfrist war aufgrund des Fehlverhaltens der Klägerin sozial gerechtfertigt und damit wirksam. Dagegen war die fristlose Kündigung angesichts der sehr langen Betriebszugehörigkeit unverhältnismäßig. Die Vorlage einer vorgefertigten ärztlichen Impfunfähigkeitsbescheinigung, ohne dass vorher eine Untersuchung erfolgt ist, stellt eine sehr schwere Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten dar, die das Vertrauen in eine ungestörte weitere Zusammenarbeit auch ohne vorherige Abmahnung zerstört. Es musste der Klägerin klar sein, dass die vorgelegte Bescheinigung zwar bei der Arbeitgeberin den Anschein eines ärztlichen Zeugnisses erwecken würde, aber in Wahrheit nicht auf einer ärztlichen Untersuchung beruhte. Aus § 20a IFSG ergibt sich für eine solche Konstellation kein arbeitsrechtliches Kündigungsverbot.
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.
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