(Kiel) Mit einer Entscheidung vom 24.11.2009 hat der Wertpapiererwerbs- und Übernahmesenat des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt am Main die Anträge eines börsennotierten Unternehmens zurückgewiesen, die Fehlerfeststellung und Veröffentlichungsanordnung in Bezug auf seinen Konzernabschluss 2009 im so genannten „Enforcement-Verfahren“ einstweilen zurückzustellen.
Darauf verweist der Hamburger Rechtsanwalt Matthias W. Kroll, LL.M., Leiter des Fachausschusses „Finanzdienstleistungs- und Versicherungsrecht“ der DASV Deutschen Anwalt- und Steuerberatervereinigung für die mittelständische Wirtschaft e.V. mit Sitz in Kiel unter Hinweis auf die Mitteilung des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 03.12.2009 zum Beschluss vom 24.11.2009, Aktenzeichen WpÜG 11 und 12/09.
Die Antragstellerin ist ein Unternehmen, dessen Aktien an der Frankfurter Börse zum Handel zugelassen und im DAX 30 notiert sind. Der Konzernabschluss und der zugehörige Konzernlagebericht der Antragstellerin für das Jahr 2009 waren von der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) im Rahmen eines Enforcement-Verfahrens eine Prüfung unterzogen worden. Dabei beanstandete die DPR, dass der Prognosebericht nicht den gesetzlichen Anforderungen entspreche.
Weil sich die Antragstellerin mit diesem Prüfungsergebnis nicht einverstanden erklärte, führte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) eine eigene Prüfung durch, die auf den Jahresabschluss und Lagebericht 2008 erweitert wurde. Im September 2009 stellte die BaFin fest, dass der Lagebericht und der Konzernlagebericht 2008 fehlerhaft sind, weil die voraussichtliche Entwicklung der Gesellschaft und des Konzerns (Prognose) nicht beurteilt und erläutert werde. Darüber hinaus ordnete sie die Bekanntmachung der im Konzernabschluss und Jahresabschluss festgestellten Fehler an (Veröffentlichungsanordnung).
Gegen die Fehlerfeststellung und die Veröffentlichungsanordnung legte die Antragstellerin jeweils Widerspruch ein, über den noch nicht entschieden ist. Gleichzeitig lehnte die BaFin den Antrag ab, bis zur Entscheidung über die Widersprüche vorläufig von der Fehlerveröffentlichung abzusehen. Um letztes dennoch zu erreichen, rief die Antragstellerin im Oktober 2009 das Gericht an.
Der zuständige Wertpapiererwerbs- und Übernahmesenat wies diese Anträge nunmehr zurück, da die Voraussetzungen für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nicht vorlägen, betont Kroll.
Der Senat führt aus, dass sich der Gesetzgeber bewusst für eine sofortige Umsetzung sämtlicher Maßnahmen der BaFin im Enforcement-Verfahren entschieden habe, weil nur so eine effektive Überprüfung der Rechnungslegung börsennotierter Unternehmen erreicht werden könne. Einstweiliger Rechtsschutz komme nur ausnahmsweise in Betracht, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Fehlerfeststellung bestünden und die Bekanntmachung für das betroffene Unternehmen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ein solcher Ausnahmefall liege hier aber nicht vor.
So bestünden an der Fehlerhaftigkeit der Rechnungslegung wegen des unterlassenen Prognoseberichts im Konzernabschluss und Jahrsabschluss 2008 keine ernstlichen Zweifel. Die Lageberichte der Antragstellerin würden den gesetzlichen Mindestanforderungen nicht gerecht, da sie weder in quantitativer noch in qualitativer Hinsicht irgendwelche Angaben zu der voraussichtlichen Entwicklung des Unternehmens bzw. des Konzerns machten, sondern hierauf komplett verzichteten und dies mit den besonderen Umständen der Finanz- und Wirtschaftkrise begründen.
Ein derartiges vollständiges Unterlassen einer Prognoseberichterstattung sei mit den zwingenden gesetzlichen Rechnungslegungsvorschriften des HGB nicht vereinbar. Es sei zwar unbestritten, dass die Wirtschaftskrise eine Unternehmensprognose erheblich erschwere und in Bezug auf konkrete und punktgenaue Angaben sogar unmöglich mache. Dies könne aber nicht dazu führen, dass sich die Unternehmensleitung ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Beurteilung und Erläuterung der voraussichtlichen Unternehmensentwicklung vollständig entziehe. Gerade in Krisenzeiten seien die Kapitalmarktteilnehmer für ihre Entscheidungen auf zukunftsorientierte Informationen der Geschäfts- und Konzernführung und deren Einschätzungen der Perspektiven angewiesen. Sehe sich die Unternehmensleitung außer Stande, konkrete Aussagen zu treffen, könnten zumindest in qualitativer Hinsicht Angaben im Sinne der Beschreibung eins positiven oder negativen Trends oder einer Tendenz unter Angabe der wesentlichen Einflussfaktoren erwartet werden.
Gerade unter dem Aspekt der Generalprävention bestehe auch ein öffentliches Interesse an der (sofortigen) Fehlerbekanntmachung. Es handele sich auch nicht lediglich um unwesentliche Verstöße im Sinne einer Bagatelle, deren Auswirkungen aus Kapitalmarktsicht belanglos seien.
Hierzu gab das Gericht u. a. noch folgende Hintergrundinformationen, so Kroll:
• Als Reaktion auf durch Bilanzmanipulationen verursachte Unternehmensskandale, die das Vertrauen der Anleger in den Kapitalmarkt erschütterten, hat die Bundesregierung im Jahr 2004 ein Bilanzkontrollgesetz geschaffen. Teil dieses Gesetzes war die Einführung des so genannten „Enforcement-Verfahrens“, durch das die BaFin ermächtigt wurde, Rechnungslegungen – also auch Konzernabschlüsse und zugehörige Lageberichte – von kapitalmarktorientierten Unternehmen auf das Vorliegen von Bilanzfehlern hin zu überprüfen (§ 37 n WpHG). Das Verfahren ist dabei zweistufig ausgestaltet: Auf der ersten Stufe prüft die DPR – eine privatrechtlich organisierte Prüfstelle – stichprobenartig oder auf Anlass (§ 342 b HGB). Ist das Unternehmen nicht freiwillig zur Mitwirkung bereit oder akzeptiert es das Prüfungsergebnis der Prüfstelle nicht, folgt auf der zweiten Stufe die behördliche Überprüfung durch die BaFin (§ 37 p WpHG), die auch die Veröffentlichung der Bilanzfehler anordnen kann, wovon jedoch zum Schutz berechtigter Interessen des Unternehmens ausnahmsweise abgesehen werden kann (§ 37 q WpHG). Die Feststellungen und Anordnungen der BaFin wiederum können auf die Beschwerde des Unternehmens gerichtlich überprüft werden (§§ 37 t, 37 u WpHG).
• Enforcement:
eigentlich: „Erzwingung, Durchsetzung“, hier verstanden als „Überwachung von Unternehmensberichten und die Information über ihre Fehlerhaftigkeit“
Kroll riet, dies zu beachten und in Zweifelsfragen Rechtsrat einzuholen, wobei er dazu u. a. auch auf die hierauf spezialisierten Anwälte und Anwältinnen in der DASV Deutsche Anwalts- und Steuerberatervereinigung für die mittelständische Wirtschaft e. V. – www.mittelstands-anwaelte.de – verwies.
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Matthias W. Kroll, LL.M.
Rechtsanwalt/Master of Insurance Law
Leiter des Fachausschusses XIV „Finanzdienstleistungs- und Versicherungsrecht“
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